Was als einfache Bauernhofsimulation unter dem Namen Farm Folks begann, wurde fast eingestellt. Heute steht mit Autonomica ein ambitioniertes Open-World-Abenteuer vor der Tür, das Farming, Automation, Storytelling und Zeitreisen unter einem futuristischen Solarpunk-Schirm vereint. Möglich gemacht wurde das durch Crytivo, ein Studio, das ein totes Projekt nicht nur gerettet, sondern völlig neu erfunden hat.
Manche Spiele erleben eine Wiedergeburt. Doch was Autonomica durchgemacht hat, ist mehr als das: Es ist eine komplette Identitätsveränderung. Aus einem geplanten Stardew Valley in 3D wurde ein facettenreicher Genre-Mix, der zwischen Satisfactory, My Time at Portia und Outer Wilds oszilliert. Und das Ganze spielt in einer Welt, in der Naturgesetze auf Abwege geraten sind, Wälder flüstern und die Grenzen zwischen Technologie, Mystik und Möbeldesign verschwimmen.
Ein Kickstarter-Projekt geht baden – und wird von Crytivo neu gebaut
Ursprünglich startete das Projekt 2018 unter dem Namen Farm Folks mit einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne. Obwohl das ursprüngliche Finanzierungsziel von 50.000 australischen Dollar deutlich übertroffen wurde, verlief die Entwicklung schleppend. Ab 2020 herrschte weitgehend Funkstille, und in der Community wuchs die Sorge, dass das Projekt eingestellt werden könnte.
2025 wagte das neu formierte Team unter Leitung von Crytivo – bekannt durch das Götterspiel The Universim – einen zweiten Versuch: Eine vollständig überarbeitete Kickstarter-Kampagne für das Spiel unter dem neuen Namen Autonomica wurde gestartet – und erreichte ihr Finanzierungsziel von 170.000 US-Dollar in weniger als 24 Stunden. Wenige Tage später überschritt sie die Marke von 247.000 US-Dollar und schaltete damit das erste Stretch Goal, ein modulares Aquariensystem, frei. Die Begeisterung in der Community war enorm und spiegelte sich in der Dynamik und im Zuspruch der Kampagne wider. Letztlich wurden über eine Million Dollar gesammelt, womit wohl niemand so richtig gerechnet hätte.
Zwischen Theorien und Technologie – wie Crytivo sein Profil schärft
Mit The Universim hat sich Crytivo als eines der spannendsten Indie-Studios der letzten Jahre etabliert. Das Team bewies schon dort Mut zur Eigenständigkeit und experimentierte mit ungewöhnlichen Konzepten, bei denen Spielende nicht nur beobachten, sondern auch bewusst eingreifen konnten – als Gottheiten mit Verantwortung, Humor und göttlichem Fingerspitzengefühl.
Hinter Crytivo steht kein anonymer Großkonzern, sondern ein leidenschaftliches Entwicklerkollektiv, das in der Vergangenheit immer wieder bewiesen hat, wie viel Potenzial in unabhängiger Spieleentwicklung steckt. Viele Teammitglieder waren zuvor an Projekten wie Metro 2033, Uncharted oder The Last of Us 2 beteiligt – sie bringen also AAA-Erfahrung mit, die sie nun in ambitionierte Indie-Produktionen einfließen lassen.
Im Fall von Autonomica war Crytivo nicht nur Retter in der Not, sondern kreativer Neudenker. Statt ein bestehendes Konzept irgendwie zu retten, entschied sich das Studio für einen Neustart – inhaltlich, technisch und ästhetisch. Damit wurde aus einem gescheiterten Farming-Spiel ein vollständiges Multitalent mit Automation, sozialem Storytelling und optionalem PvEvP.
Die Verknüpfung beider Titel zeigt sich im Streben nach Eigenständigkeit. Sowohl The Universim als auch Autonomica bauen Welten, in denen Spielende nicht nur reagieren, sondern aktiv gestalten. Wer also Gefallen daran gefunden hat, in The Universim als allmächtige Entität Planeten zu kolonisieren, wird in Autonomica dieselbe Detailverliebtheit wiederfinden – nur eben bodenständiger, näher am Leben und deutlich persönlicher.
Zeit ist gebrochen – und du bist mittendrin in Autonomica
Spielende schlüpfen in die Rolle einer ehemaligen Logistikingenieurin, die nach einem mysteriösen Flugzeugabsturz auf einer Insel erwacht, in der alles ein bisschen verkehrt läuft: Die Sonne bewegt sich rückwärts, Tiere leuchten im Dunkeln und Schattenwesen – sogenannte Phantome – schleichen durch die Wälder.
Doch es bleibt nicht bei Mysterien. Durch das Unglück wurden wichtige autonome Versorgungsstrukturen zerstört. Spielende müssen nicht nur überleben, sondern auch eine gebrochene Welt wieder zusammensetzen – und dabei ganz nebenbei die Zeit retten. Dabei eröffnet sich eine überraschend emotionale Geschichte um Familien, Verlust, Hoffnung und das Bedürfnis, wieder Ordnung ins Chaos zu bringen.
Mehr als eine Farm – Automation, Konstruktion und Solarpunk-Visionen
Autonomica punktet mit einem tiefgreifenden Konstruktionssystem. Alles beginnt mit einfachen Bauelementen, aber endet bei schwebenden Mech-Garagen und Glasdomen über Flüssen. Die Welt lässt sich in Echtzeit umbauen – vertikal, horizontal und ästhetisch absurd schön. Ob Hightech-Gewächshaus oder rustikales Blockhaus mit Solarpanel-Balkon: Wer bauen will, bekommt hier das Schweizer Taschenmesser der Sandbox-Werkzeuge.
Dazu kommt die Automation. Solarpanels, Windräder, Förderbänder und Drohnen – alles lässt sich vernetzen. Die Spielwelt wird so zur produktiven Oase: Käse aus Ziegenmilch auf dem Förderband trifft auf Solarregler und Wasserpipelines. Und das alles im Einklang mit der Natur – Solarpunk eben. Je effizienter die Anlagen, desto mehr Zeit bleibt fürs Erkunden, Dekorieren oder Ghostbusting.
Farming, Freunde und futuristische Fantasien
Mit über 100 verschiedenen Pflanzenarten und einer lebendigen Tierwelt wird in Autonomica der Agrartraum zur technologischen Realität. Tiere dienen nicht nur als Ressource, sondern auch als Reittiere, Begleiter und Herzöffner. Züchten, kreuzen, farblich anpassen – fast wie Pokémon, nur mit mehr Ziegen.
Neben Pflanzenbau und Viehzucht entfaltet sich ein soziales Spielsystem: NPCs mit echten Persönlichkeiten, Reaktionen auf Kleidung, Verhalten und Fortschritt. Romantik ist möglich, ebenso Freundschaft oder nützliche Allianzen. Jede Figur ist von realen Autoren mitentwickelt worden – das merkt man an den Dialogen und den kleinen Macken, die sie lebendig machen.
Zwischenzeitlich in der Zeit – Parallelwelten, PvEvP und Phantome
Besonderes Highlight: die Zeitreise-Mechanik. Mithilfe spezieller Kapseln können Spielende alternative Versionen der Welt besuchen. Mal ist es friedlich, mal tödlich. Mal gibt es seltene Pflanzen, mal aggressive Geister. Und manchmal trifft man dort auf andere Spieler, die dasselbe Ziel verfolgen: looten, extrahieren, überleben.
Diese PvEvP-Elemente sind optional, fügen sich aber sinnvoll ein. Wer mag, taucht in den Modus „Finite“ ein, kämpft in Mechs um Ressourcen oder schleicht durch Geisterzonen voller seltenem Loot. Die Belohnungen sind groß, das Risiko auch. Gleichzeitig bleibt Autonomica auch ein Spiel für Ruhe und Kreativität – der Mix macht’s.
Musik, Modularität und Mitbestimmung
Bevor der letzte Vorhang fällt, lohnt sich noch ein Blick auf das, was Autonomica im täglichen Spielgeschehen wirklich ausmacht. Denn trotz seiner ambitionierten Systeme bleibt das Spiel zugänglich – und sogar gemütlich, wenn man es möchte. Wer einfach nur seine Farm aufbauen, Gemüse züchten oder Tiere streicheln will, findet hier genauso einen Platz wie alle, die Drohnen-Netzwerke und Energieflüsse optimieren wollen.
Neben den vielen Systemen gibt es auch klassische Progression in Form von Spezialisierungen. Spielende können sich etwa auf Landwirtschaft, Tierhaltung, Bergbau, Herstellung oder Kochen konzentrieren. Jede dieser Sparten bringt einzigartige Vorteile mit sich, schaltet neue Baupläne frei und verändert die Art, wie man seine Welt gestaltet. Das erlaubt ein angenehmes Rollengefühl, ohne in starren Klassen zu enden – was wiederum perfekt zu einem Sandbox-Spiel passt, das sich wie eine digitale Zukunfts-Wundertüte anfühlt.
Soundtechnisch spielt Autonomica in der Indie-Oberklasse. Mit dabei: Disasterpeace (u. a. Fez, Hyper Light Drifter) und Carolina Eyck mit ihrem Theremin für geisterhafte Klangbilder. Dazu Synthwave-Elemente und dynamische Klanglandschaften, die sich je nach Situation ändern – von entspannt bis bedrohlich.
Auch das Interior-Design geht tiefer als in vielen Konkurrenten. Möbel, Farben, Texturen, sogar die Platzierung einzelner Gegenstände auf Tischen und Fensterbänken ist möglich. Spielende gestalten ihren Rückzugsort pixelgenau – von der Minze auf dem Nachttisch bis zur Lavalampe auf der Toilette.
Ein fragiler Ursprung, ein starkes Comeback
Autonomica hat eine bewegte Geschichte. Ursprünglich als Farm Folks gestartet und durch eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne finanziert, schien das Spiel schon fast verloren, als Funkstille und technische Probleme das Projekt ins Abseits stellten. Doch mit der Übernahme durch Crytivo begann ein kompletter Neustart, der nicht nur technisch, sondern auch kreativ völlig neue Wege einschlug.
Im April 2025 folgte eine zweite Kickstarter-Kampagne – diesmal unter dem neuen Namen Autonomica. Das Finanzierungsziel wurde in unter 24 Stunden erreicht, kurze Zeit später folgte die erste Stretch-Goal-Freischaltung. Die Community reagierte mit enormer Unterstützung, was den neuen Kurs bestätigte und dem Spiel eine stabile Ausgangsbasis verschaffte.
Ob das Spiel am Ende alle Erwartungen erfüllt, bleibt abzuwarten. Doch selten war ein Scheitern so produktiv.