Am 31. Oktober 2017 veröffentlichte das tschechische Studio Charles Games ein historisches Computerspiel mit Zeitzeugen-Feeling. Streng genommen ist Attentat 1942 die überarbeitete Fassung des 2015 erschienen Československo 38-89: Atentát, welches ausschließlich in tschechischer Sprache erhältlich ist. Interessierte Spieler können sich seit 2017 aber nicht nur über andere Sprachen als tschechisch freuen, sie kommen nun auch in den Genuss eines Spiels, das von Professoren für Geschichte und von Historikern entwickelt wurde. Und weil das noch nicht genug ist, hat das Ministerium für Kultur der Tschechischen Republik das gesamte Projekt auch noch umfangreich gefördert. Inhaltlich ist das Spiel also eine große Wundertüte historischer Akkuratesse, die durch Live-Action-Sequenzen in die Gegenwart geholt wird.
Was hat Opa eigentlich im Krieg gemacht?
Prag der Gegenwart. Du bist zu Besuch bei deiner Großmutter und versuchst endlich das große Geheimnis deiner Familie zu lüften: Was genau hatte dein Großvater Jindrich Jelinek eigentlich mit dem tödlichen Attentat auf SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich am 4. Juni 1942 zu tun? Dass er in irgendeiner Form daran beteiligt war, scheint außer Frage zu stehen. Doch Oma hüllt sich in Schweigen. Und Opa? Der liegt im Krankenhaus und ist nicht ansprechbar. Nun hängt es also an dir, dich mit den noch lebenden Zeitzeuginnen und -zeugen auszutauschen, die einst im Kontakt zu deinem Großvater standen. Dabei erfährst du zahlreiche Details zum tschechischen Widerstand im besetzten Prag des 2. Weltkrieges und auch mehr über den Holocaust. Denn nach dem erfolgten Attentat wurde dein Großvater durch die Gestapo verhaftet und deportiert.
Attentat 1942: Live-Action-Sequenzen gepaart mit Zeichnungen und historischen Bildern
Das Spiel erwartet dich mit verschiedenen Spielelementen, die dich stetig neu herausfordern. Zum einen hast du die Dialoge mit den Zeitzeugen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Kontakt zu deinem Großvater hatten und dir neue Details zu den Begebenheiten der damaligen Zeit verraten. Wird dir eine konkrete Situation in der Vergangenheit geschildert, bekommst du diese in einer interaktiven schwarz-weiß Graphic Novel zu sehen. Untermalt wird das ganze durch eine Stimme aus dem Off, passende Geräusche und spannungsgeladene Musikelemente. Auch hier kannst du Entscheidungen treffen, die wiederum Einfluss darauf haben, wie detailliert du über die antifaschistische Vergangenheit deiner Großeltern aufgeklärt wirst. Liegst du mit deiner Vermutung zu weit daneben, wird die Passage mit einem „Nein, Moment. Das war doch ganz anders!“ neu gestartet. Attentat 1942 lässt somit Entscheidungen zugunsten des Gameplays ganz geschickt in diese Dialogform einfließen, was das Spielgefühl angenehm rund erscheinen lässt. Das Spiel bietet dir sogar mehr als nur ein Ende, was dazu einlädt, die Geschichte mehr als nur einmal zu erkunden.
Geschichtsvermittlung über Computerspiele?
Mit Attentat 1942 lädst du dir ein historisch akkurates Spiel auf die Festplatte, dessen Mission eindeutig die Wissensvermittlung ist. Dass die Tonspur ausschließlich auf tschechisch ist, hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Eindeutig positiv ist die Authentizität, die durch die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vermittelt wird, indem sie nicht synchronisiert wurden. Von Nachteil ist jedoch, dass du als Spieler ohne Kenntnisse der tschechischen Sprache ausschließlich darauf angewiesen bist, die Untertitel zu lesen. Es ist ein bisschen wie bei Filmen in einer unbekannten Fremdsprache: Sobald du dich nur auf den Untertitel konzentrierst, gehen dir Details der Bilder verloren. Für mich persönlich schmälert das auch ein wenig den Wiederspielwert, so gern ich auch erfahren hätte, was in den Graphic-Novel-Episoden passiert wäre, hätte ich mich für eine andere Option entschieden.
Dennoch kann ich jedem Geschichtsinteressierten Attentat 1942 ans Herz legen, denn es wurde mit fundiertem historischen Wissen und genauso viel Liebe zum Detail entwickelt. Und gerade jetzt, wo uns die echten Zeitzeugen immer mehr verloren gehen, ist eine solche Konservierung von realen Ereignissen im Gewand des Zeitzeugenberichts umso kostbarer. Mindestens genauso spannend ist es da doch, dass das Entwicklerstudio Charles Games am 23.03.2022 einen Trailer für das Geschichtsspiel „Train to Sachsenhausen“ veröffentlicht hat, welches in gleicher Aufmachung von anderen Tragödien des Nationalsozialismus erzählt. Wer sich für diese Themen interessiert, sollte sich das Studio definitiv auf den Merkzettel setzen!